10. September 2015 by Gudrun Mildner

Change the world – change the country

Auch wenn die Woche noch nicht rum ist und es damit eigentlich drei Tage zu früh für unseren neuen Post ist, schreibe ich doch heute Abend – und zwar nicht so sehr über uns sondern über Deutschland. Seit letztem Wochenende wird immer deutlicher, dass das Land, dass Ihr verlassen habt, nicht mehr dasselbe sein wird, wenn Ihr zurückkehrt. Als ich 1985/1986 in den USA war, geschah der Tschernobyl Unfall, als mein Bruder Volker 1989/1990 ebenfalls in den USA war, fiel die Mauer. Und dieses Jahr, in dem Ihr in die Welt gezogen seid, um sicher im Leben mancher Menschen für eine gute Veränderung zu sorgen a la change the world a little bit every day, scheint wiederum ein besonderes Jahr für Deutschland zu sein.

Vermutlich war es die Aussage von Angela Merkel, dass kein Syrer mehr, der in Deuschland um Asyl bittet, gemäß Dublin-Abkommen in das Land zurückgeschickt wird, in dem er das erste Mal europäischen Boden betreten hat, die nun dazu führt, dass eine Welle an Menschen auf uns zurollt. Diese Aussage der Kanzlerin scheint über Fernsehen und soziale Medien bis in die tiefsten Flüchtlingslager in Jordanien und im Irak zu gelangen. Die Lage für die Menschen dort wird immer prekärer, weil der Uno schlicht das Geld für die Versorgung fehlt, von Schulen und Arbeit ganz zu schweigen.

Am letzten Wochenende, nein eigentlich seit letztem Wochende, sieht man Szenen aus Ungarn, Serbien, Mazedonien, Österreich, Dänemark, wo Menschen nicht nur versuchen in überfüllte Züge zu steigen sondern Gewaltmärsche durch die Wälder und über die Autobahnen unternehmen, um sich unbedingt erst in Deutschlantd registrieren zu lassen. Sie brechen aus ungarischen Lagern wieder aus, um weiterzukommen, auch der neue Grenzzaun zu Serbien hält sie nicht ab. Die Schätzungen für dieses Jahr tle 450.000 Flüchtlingen auf 800.000 Flüchtlinge aus allen Ländern hochgesetzt worden, wenn das denn reicht, wir haben erst Anfang September. Das ist auf die Bevölkerung gerechnet 1% und überhaupt nicht vergleichbar mit dem, was etwa Jordanien oder der Irak an Flüchtlingen aufgenommen hat. Aber unter den Flüchtlingen sind viele junge Männer, viele alleinreisende Kinder und viele Familien mit Kindern, wenn man den Fernsehbildern glauben schenken darf. Die Familien in den Lagern schicken den Stärksten, verkaufen alles, was sie haben, um den Schlepper zu bezahlen und hoffen, dass sie durch das Nachzugsrecht irgendwann hinterherkommen dürfen. Damit werden es letztlich sicher viel mehr werden. Außerdem lässt sich überhaupt nicht abschätzen, ob und wann es ein Ende der gerade so massiv begonnenen Wanderungsbewegung geben wird.

Endlich aber auch scheint die Stimmung hier deutlich ins positive zu kippen. Bis zum letzten Wochenende hatte ich den Eindruck, dass es nur ein verzagtes Wehren gegen rechte Demonstranten, Pöbler und Nazis gab, die gegen die Einquartierung und Aufnahme von Flüchtlingen protestierten. Es gab auch nur verzagte Reaktionen auf die Reihe von Brandanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte. Und dann: In München, Dortmund, Frankfurt, Hamburg, Düsseldorf waren hunderte Helfer, die die ankommenden Menschen mit selbst organisierten Spenden an Essen, Trinken, Kleidung etc. versorgten, in München drei Tage im Dauereinsatz. Fast überall musste die Annahme von weiteren Spenden irgendwann gestoppt werden, weil es so viel war. Gleichzeitig werden viele Initiativen, Kreise und Projekte sichtbarer über die verschiedenen sozialen Medien. Heute Abend haben wir auf Facebook gesehen, dass Joachim (wer sonst…) in Köln einen Flüchtlingschor leitet.

In Wuppertal wohnen seit gestern 300 weitere Menschen in Küllenhahn in der Turnhalle. Auch hier hat sich sofort ein Hilfskreis gegründet, der die Menschen empfangen hat und nun das Engagement vieler organisiert. Die ersten dieser Flüchtlinge habe ich heute bei Aldi in Cronenberg getroffen – die Kassiererin war ganz schön herausgefordert, als sie plötzlich Englisch sprechen musste, aber es hat alles gut geklappt. Ich werde am Wochenende nochmal im Keller graben, was sich findet zur Weitergabe und vermutlich bei Aldi oder Lidl Unterwäsche einkaufen gehen, an der es überall mangelt.

Wir werden Euch berichten, was hierzu weiter passiert, ist dies doch auch interkultureller Austausch der besten Art – nur eben vor der eigenen Haustür.

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